Hans-Adolf Graebert

Hans-Adolf Graebert

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»Ich bin ein Häftling wie andere auch, aber mein Vater hatte Verdienste.«

Hans-Adolfs Vater Armin Graebert kommt am 31. Dezember 1898 in Berlin zur Welt. Mit Abschluss seines Abiturs wird er 1916 als Soldat im Ersten Weltkrieg eingezogen, wo ihn an der französischen Front ein Granatsplitter am Bein schwer verletzt. Nach Kriegsende studiert er Rechts- und Verwaltungswissenschaften und schließt sich der Burschenschaft Neogermania Berlin an. 1926 promoviert er zum Doktor der Rechts- und Staatswissenschaften.

Armin heiratet Hedwig, das junge Ehepaar wohnt in Anklam und bekommt hier zwei Söhne: Am 7. Mai 1929 wird Hans-Adolf Graebert und etwa zwei Jahre später sein Bruder Thomas geboren.

Hedwig Graebert ist eine der drei Töchter des berühmten Boden­reformers Adolf Damaschke. Die Familie verbringt viele Wochenenden und Urlaube auf dem Grundstück Damaschkes im brandenburgischen Werder. Bei einer dieser familiären Zusammenkünfte findet die Taufe von Hans-Adolf statt.

Armin nimmt Ideen des Schwiegervaters auf, wird Mitglied im Bund Deutscher Boden­reformer und engagiert sich dafür, diese Anliegen auf kommunalpolitischer Ebene zu propagieren und umzusetzen. Aufgrund seiner Bemühungen gegen die Wohnungs­not wird er vom Mieterverband als Kandidat für die Bürger­meister­wahlen aufgestellt und im April 1928 zum 2. Bürgermeister Anklams gewählt.

Bis dato ist Armin parteilos gewesen. Am 1. Mai 1933 tritt er der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) bei. Nach zwei kommunalpolitischen Posten in Glogau an der Oder und Weimar wird er im Juli 1939 zum Oberbürgermeister Wurzens ernannt. Vier Monate nach Amtsantritt beginnt der Zweite Weltkrieg.

Wurzen ist eine 1050 Jahre alte Domstadt am östlichen Hochufer der Mulde, etwa 30 Kilometer von Leipzig entfernt und am Übergang der Via Regia und deren Kreuzung mit einer alten Salzstraße gelegen. Die Kampfhandlungen erreichen die Stadt am 20. Oktober 1943. Bei einem Bombenangriff auf den Norden stirbt der erste Einwohner, bis Kriegsende werden etwa 40 Menschen Opfer der alliierten Luftangriffe. Etwa 650 aus Wurzen stammende Soldaten fallen an der Front.

Hans-Adolfs Eltern haben mittlerweile ein weiteres Kind bekommen, Irene ist nun drei Jahre alt. Für Hans-Adolf als Jugendlichen von etwa 14 Jahren ist der Krieg eine schwierige Zeit, aber auch Normalität. Für Politik interessiert er sich kaum. In seinem Alltag findet keine Schule mehr statt, stattdessen gibt es immer wieder Fliegeralarme, bei denen Keller und Schutzbunker aufgesucht werden müssen.

»Ich war in der Nazi-Zeit in der Jugendfeuerwehr.«

Da eine Mitgliedschaft in der Hitlerjugend verpflichtend ist, Hans-Adolf sich jedoch weder der Flieger-HJ, Marine-HJ noch der Motor-HJ (Panzerwaffe) zugetan fühlt, sucht er sich die neutralste Abteilung der Organisation aus. Bei der Feuerwehr muss er keine Waffen bedienen, sondern nur den Hydranten, die Schläuche und die Leiter.

Am 16. April 1945 stoßen amerikanische Truppen bis nach Bennewitz vor, nun trennt sie nur noch die Mulde von Wurzen. Der Wurzener Kampfkommandant Major Adolf Gestefeld veranlasst daraufhin die Sprengung sämtlicher Muldebrücken – eine letzte Bemühung der Wehrmacht, das Vordringen der Amerikaner zu stoppen und somit dem Feind nichts als verbrannte Erde zu hinterlassen.

Antifaschistische Oppositionelle der SPD und KPD versuchen durch mehrere Boykottaktionen, die Sprengung zu verhindern, haben aber keinen Erfolg. Major Gestefeld propagiert Durchhalteparolen und beruft den Volkssturm ein. Die wenigen Wehrmachtssoldaten des Luftschutzregiments vor Ort verfügen kaum über militärische Ausrüstung.

Oberbürgermeister Graebert ist sich dessen bewusst, dass eine Verteidigung Wurzens unmöglich wird und jeglicher Versuch der Gegenwehr nur die Vernichtung von Menschenleben und Infra­struktur bedeuten würde. Er führt geheime Gespräche mit Oppositionellen aus der Wurzener Arbeiterschaft, um eine kampf­lose Übergabe der Stadt zu planen. Am 18. April überbringen zwei Männer der US-Armee in Bennewitz das verfasste Kapitulations­angebot, dazu müssen sie des Nachts die Mulde durchschwimmen.

Da Major Victor Conley vom 273. US-Infanterieregiment gewillt ist, das Angebot zu akzeptieren, stoppt er vorerst den auf die Domstadt vorgesehenen Angriff. Mit einer Taschenlampe werden die Bedingungen über die Mulde gemorst. Major Gestefeld hat Wurzen mit seiner Truppe unterdessen Richtung Wittenberg verlassen und den Volkssturm aufgelöst.

»Natürlich hatte mein Vater Helfer.«

Am Morgen des 24. April 1945 klettert Dr. Armin Graebert gemein­sam mit einem Militärarzt und einem Dolmetscher über die zerbombte Eisenbahnbrücke in Richtung Bennewitz, um US-Major Conley zu Übergabeverhandlungen zu treffen. Zwei Helfer von der Feuerwehr warten am Wurzener Ufer und schwenken sichtbar eine weiße Fahne. Das Zeichen der Kapitulation weht auf Anweisung des Oberbürgermeisters auch bereits am Turm der Wenceslaikirche.

Schließlich ziehen die amerikanischen Streitkräfte in die Stadt ein. Wurzens Zukunft wird zwischen Major Conley und Armin Graebert im Stadthaus verhandelt. Die friedliche Übergabe rettet Tausende Menschenleben und verhindert die Zerstörung von Wohnhäusern, Industrie und historischen Bauwerken.

Zwar ist die Infrastruktur durch die gesprengten Muldebrücken behindert, und immer wieder fehlen Strom, Gas oder Trinkwasser, doch im Wesentlichen erleidet Wurzen während des Zweiten Weltkriegs vergleichsweise wenig Schaden.

Dennoch ist die Stadt im Ausnahmezustand. An der natürlichen Grenze des Flusses stauen sich eine große Menge Flüchtlinge, Heimatvertriebene, Zwangsarbeiter und befreite Häftlinge. Zahlreiche Krankheiten brechen aus, Plünderungen und Übergriffe sind an der Tagesordnung.

Am 5. Mai 1945 jedoch ändert sich die Lage von Grund auf. Wurzen wird von den US-Truppen an Verbände der Roten Armee über­geben, denn es liegt in jener Zone, die entsprechend den Konfe­renzen von Teheran und Jalta für die Sowjetunion vorgesehen ist. Am 8. Mai 1945 kapituliert die deutsche Wehrmacht bedingungs­los und der Zweite Weltkrieg ist beendet. Die Alliierten übernehmen die oberste Regierungsgewalt im Deutschen Reich; in der Sowjetischen Besatzungszone SBZ ist dies die Sowjetische Militäradministration in Deutschland SMAD.

Armin Graebert behält sein Bürgermeister-Amt und wird sogar zum Landrat im östlichen Teil der Amtshauptmannschaft Grimma ernannt. Ab Mitte Mai erfolgt die Entnazifizierung Wurzens und seiner Umgebung. Funktionsträger der NSDAP und ihrer Organi­sa­tionen werden aus ihren Ämtern entfernt.

Das NKWD verhaftet Hans-Adolfs Vater am 18. Mai 1945. Dr. Armin Graebert gelingt es, eine Nachricht an die Familie weiterzuleiten, die sie über seine Internierung im sowje­tischen Speziallager Nr. 4 Bautzen informiert. Ein einziges Mal darf Hedwig Graebert ihn dort besuchen, danach wird jeglicher Kontakt verboten und Armins Zukunft bleibt ungewiss.

Hans-Adolf, seine zwei Geschwister und die Mutter sind plötzlich auf sich allein gestellt. Der Krieg ist erst zehn Tage vorbei und der Alltag in der Stadt noch weitgehend unstrukturiert. Bezugsscheine und Lebensmittelkarten verkomplizieren die ohnehin schlechte Ernährungssituation. Die sowjetischen Besatzer richten sich in der Stadt ein und vertreiben Familie Graebert aus ihrer Wohnung.

Da der reguläre Schulbetrieb noch nicht wieder aufgenommen ist, arbeitet Hans-Adolf als Erntehelfer und in der Molkerei. Für die Feuerwehr setzt er sich weiterhin engagiert ein und interessiert sich darüber hinaus für Fußball, Schwimmen und allmählich auch für die Mädchen in seinem Alter.

Am 1. November 1945 klingeln deutsche Polizisten bei Familie Graebert. Sie wollen den 16-Jährigen mitnehmen, denn, so teilen die Beamten mit, man brauche Jugendliche für einen Arbeits­einsatz. Es ginge um den Wiederaufbau des zerstörten Dresdens, und bis Weihnachten sei Hans-Adolf zurück.

»Und das glaubte ich auch zunächst mal. Es hatte sich ja herumgesprochen, wie es in Dresden aussah.«

Die Polizisten kündigen an, dass es eine Übernachtung gebe, bevor der Weg angetreten werde – eine völlig normale Vorgehensweise, denn schließlich könne man nicht jeden Jugendlichen einzeln nach Dresden fahren, sondern müsse warten, bis eine gewisse Zahl an Helfern zusammengesammelt ist.

Die Schlafstätten der Jugendlichen befinden sich im Schloss Wurzen, ausgerechnet in den dort befindlichen Gefängniszellen. Hans-Adolf wird in eine Zelle gesperrt und in der Nacht vom NKWD zum Verhör geholt. Die sowjetischen Vernehmer wollen von ihm das Geständnis erpressen, er sei der national­sozia­listischen »Werwolf«-Organisation angehörig.

»Ich wusste nicht mal, wie das geschrieben wird.«

Hans-Adolf ist völlig ahnungslos. Er hat bislang nicht einmal vom Hörensagen Kenntnis von der Partisanengruppe gehabt. Der Vorwurf ist auch deshalb so absurd, weil die Freischärler des »Werwolf« hauptsächlich Sabotageakte auf die alliierten Besatzungstruppen verüben und Deutsche ermorden sollen, die mit diesen zusammenarbeiten – also Kollaborateure wie Hans-Adolfs Vater.

Die Tage bis zum 5. November verbringt Hans-Adolf allein in einer Zelle. Er wird gezwungen, ein Schriftstück zu unterschreiben, dessen Inhalt er nicht versteht und das er aufgrund der kyrillischen Buchstaben nicht lesen kann.

Noch misst er den nächtlichen Vernehmungen keine große Bedeutung bei. Da er um die Haltlosigkeit der Vorwürfe weiß, ordnet er sie als bloße Demonstration der Siegermentalität der Sowjets ein.

Nach vier Tagen muss Hans-Adolf mit mehreren Jugendlichen auf ein Auto steigen. Noch immer glaubt er daran, dass ihn die Fahrt nach Dresden führen wird. Tatsächlich überqueren sie mit einer Fähre die Elbe, doch das erreichte Ziel ist ein Barackenlager in der Nähe des Ortes Mühlberg. Hans-Adolf vermutet, dass man hier für weitere Übernachtungen versammelt wird, bis es anschließend zum Arbeits­einsatz nach Dresden geht. Doch tagelang geschieht nichts.

»Da erst merkte ich, dass ich in Haft war.«

Für zwei Jahre und acht Monate erlebt Hans-Adolf im Speziallager Nr. 1 Mühlberg nun die Quälerei der völligen Isolierung von der Außenwelt, begleitet von unzureichender Ernährung, nahezu unmöglicher Körper- und Gesundheitspflege und dem verordneten Nichtstun.

Wenn der Hauptlagerführer in die überfüllte Holzbaracke tritt, müssen die ausgemergelten Internierten strammstehen. Doch die Kameradschaft untereinander ist gut, besonders die Jugendlichen halten zusammen, auch wenn sie die Gründe ihrer Internierung nicht verstehen und sich in Spekulationen versuchen.

Zu Weihnachten fällt die Last der Inhaftierung besonders schwer. Nichts im Lager Mühlberg unterscheidet dieses Datum von anderen Tagen im Jahr. Es gibt keinen Weihnachtsbaum – nicht einmal einen grünen Zweig – in den Baracken, das Singen von Liedern bleibt untersagt und die Verpflegung besteht auch zu diesem Anlass nur aus schmalen Rationen Brot und Wassersuppe.

Das Heimweh ist bei Hans-Adolf groß. Durch die Abschottung von Rundfunk und Zeitung und dem Kontaktverbot zu Angehörigen ist die Ungewissheit über das Schicksal ihrer Familien für die Häftlinge zusätzlich zermürbend.

Nur selten gibt es Ablenkungen vom trostlosen Lageralltag: Da der sowjetische Lager­kommandant der »Kultura« sehr zugetan ist, fördert er Musik- und Theater­aufführungen von Häftlingen. Auch Hans-Adolf darf ab und an Zuschauer der Mühlberger Theater­gruppe sein.

Ende des Jahres 1946 ist jedoch Schluss mit den Veranstaltungen, denn sie widersprechen einer im Oktober erlassenen Lager­ordnung, und außerdem ist der physische Zustand der meisten Häftlinge desolat.

Als im Februar 1947 eine groß angelegte Untersuchung der Lager­insassen für den Transport Arbeitsfähiger in sibirische GULAGs stattfindet, erhält Hans-Adolf unerwartete Hilfe. Ein Lagerarzt weist den 17-Jährigen, der aufgrund der Fehlernährung an Furunkulose leidet, umgehend ins Lazarett ein. Zwischen den Todkranken verborgen, entgeht Hans-Adolf dem sogenannten Pelzmützentransport.

Im April 1947 werden 400 Häftlinge aus dem aufge­lösten Speziallager Nr. 6 Jamlitz nach Mühlberg verlegt. Unter ihnen befindet sich ein Polizist aus Wurzen, der Hans-Adolf die erschütternde Botschaft vom Tod seines Vaters überbringt. Nachdem Dr. Armin Graebert ein Jahr zuvor aus Bautzen nach Jamlitz verbracht worden war, ist der einstige Bürger­meister schließlich am 5. Februar 1947 an Kräfte­auszehrung gestorben.

Im Juli 1948 beginnen die Vorbereitungen für Hans-Adolfs Entlassung aus dem Speziallager Nr. 1 Mühlberg. Er ist nun 19 Jahre alt und einer der ersten Gefangenen, die den Heimweg antreten dürfen. Zuvor muss er einige Tage in einem Quarantäne­bereich verbringen. Die Männer erhalten nun neue Kleidung, reichhaltigeres Essen, Zeitungen und Zigaretten. Über ihre Zeit in Gefangenschaft wird ihnen Redeverbot erteilt.

Mit einem Lkw geht es für die Freigelassenen am 10. Juli 1948 zum Bahnhof Neuburxdorf. Der Bahnangestellte hält für die Männer extra einen Güterzug an, damit sie die Reise in ihre Heimatorte ohne lange Wartezeit antreten können.

Zurück in der Heimat muss Hans-Adolf zunächst einige Zeit im Krankenhaus verbringen. Die Lagerhaft hat ihn geschwächt und ihm als Folgeerkrankung eine Rippenfellentzündung eingebracht. In Wurzen spricht sich Hans-Adolfs Wiederkehr schnell herum, und die Reaktion der Bevölkerung ist durchaus wohlwollend.

Etliche Bürger suchen ihn auf, weil sie sich Nachricht über ebenfalls vom NKWD verhaftete Familienmitglieder versprechen. Hans-Adolf muss jedoch viele enttäuschen, weil er über den Verbleib der Männer nichts weiß und nur die Namen der Personen weitergeben kann, die sich gemeinsam mit ihm in der Quarantäne aufgehalten haben und somit kurz vor der Entlassung in die Freiheit stehen.

Nach seiner Genesung ist Hans-Adolf auf der Suche nach Arbeit. Kein leichtes Unterfangen, denn er hat während des Zweiten Weltkriegs keinen Schulabschluss machen können.

»Ich stand vor dem Nichts.«

Einer der Oppositionellen, mit denen sein Vater verhandelt hat, steht ihm zur Seite und vermittelt eine Arbeitsstelle. Erst hilft Hans-Adolf in der Produktion aus, dann macht er Lehrgänge an der Volkshochschule und der Kammer der Technik in Leipzig und lässt sich zum Industriekaufmann ausbilden. Eigentlich ist sein Berufswunsch Architekt gewesen, doch den Traum von einem Studium kann Hans-Adolf nicht realisieren, da er als Halbwaise keinen finanziellen Rückhalt hat und selbst für seinen Lebens­unterhalt sorgen muss.

Obwohl Hans-Adolf nach seiner Rückkehr sofort wieder in die Feuerwehr eintritt, muss er das geliebte Hobby bald aufgeben. Die Lagerhaft hat ihn körperlich so mitgenommen, dass er die Anforderungen nicht mehr erfüllen kann. Für den Fußball interessiert er sich nach wie vor, er geht regelmäßig ins Stadion, um sich Spiele anzuschauen.

Hans-Adolf Graebert als Mitglied der Feuerwehrjugend, 1949

1955 heiratet er Irmgard und bekommt mit ihr einen Sohn. Auch wenn die Eingewöhnung in den Alltag im Wesentlichen gut verläuft, hat ihn die Zeit in Mühlberg gezeichnet und sensibel gemacht.

Erst 1995 wird Hans-Adolf der Tod seines Vaters durch den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes offiziell bestätigt. Im selben Jahr, anlässlich des 50. Jahrestages der friedlichen Kapitulation, wird am Wurzener Stadthaus eine Gedenktafel enthüllt, die den damaligen Oberbürgermeister ehrt und die Bedeutung der Aktion würdigt.

»2009 hatte ich eine Schädeloperation. Dadurch ging vom Gedächtnis einiges verloren.«

Neben wenigen körperlichen Einschränkungen sind Hans-Adolf infolge der Gehirnblutung, die er erlitten hat, etliche Erinnerungen an seine Vergangenheit abhanden gekommen. Details seiner Erlebnisse aus der Zeit in Gefangenschaft fehlen ihm seitdem.

Jeden Monat trifft er sich mit der Bezirksgruppe Wurzen der Vereinigung der Opfer des Stalinismus e. V. (VOS) im Stadthaus. Die Gruppe hat bereits mehrere Ausstellungen in Wurzen organisiert und unternimmt mit Schülern Fahrten zu Gedenk­stätten.

Hans-Adolf legt Wert darauf, darüber zu informieren, dass ihm das im Speziallager Nr. 1 Mühlberg geschehene Unrecht nicht durch das russische Volk, sondern allein durch die stalinistische Politik zugefügt worden ist. Er empfindet keinen Hass, sondern wünscht sich eine friedliche Zukunft, in der ein gutes Verhältnis zwischen allen Völkern existiert.

Der heute 87-Jährige ist ein engagierter und gefragter Ansprech­partner für Bericht­erstattungen über seinen Großvater Adolf Damaschke, über die Ereignisse der letzten Kriegstage in Wurzen und die Initiative seines Vaters Dr. Armin Graebert. Hans-Adolf erhält eine Opferrente.

»Ich bin ein Häftling wie andere auch, aber mein Vater hatte Verdienste.«

Hans-Adolfs Vater Armin Graebert kommt am 31. Dezember 1898 in Berlin zur Welt. Mit Abschluss seines Abiturs wird er 1916 als Soldat im Ersten Weltkrieg eingezogen, wo ihn an der französischen Front ein Granatsplitter am Bein schwer verletzt. Nach Kriegsende studiert er Rechts- und Verwaltungswissenschaften und schließt sich der Burschenschaft Neogermania Berlin an. 1926 promoviert er zum Doktor der Rechts- und Staatswissenschaften.

Armin heiratet Hedwig, das junge Ehepaar wohnt in Anklam und bekommt hier zwei Söhne: Am 7. Mai 1929 wird Hans-Adolf Graebert und etwa zwei Jahre später sein Bruder Thomas geboren.

Hedwig Graebert ist eine der drei Töchter des berühmten Boden­reformers Adolf Damaschke. Die Familie verbringt viele Wochenenden und Urlaube auf dem Grundstück Damaschkes im brandenburgischen Werder. Bei einer dieser familiären Zusammenkünfte findet die Taufe von Hans-Adolf statt.

Armin nimmt Ideen des Schwiegervaters auf, wird Mitglied im Bund Deutscher Boden­reformer und engagiert sich dafür, diese Anliegen auf kommunalpolitischer Ebene zu propagieren und umzusetzen. Aufgrund seiner Bemühungen gegen die Wohnungs­not wird er vom Mieterverband als Kandidat für die Bürger­meister­wahlen aufgestellt und im April 1928 zum 2. Bürgermeister Anklams gewählt.

Bis dato ist Armin parteilos gewesen. Am 1. Mai 1933 tritt er der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) bei. Nach zwei kommunalpolitischen Posten in Glogau an der Oder und Weimar wird er im Juli 1939 zum Oberbürgermeister Wurzens ernannt. Vier Monate nach Amtsantritt beginnt der Zweite Weltkrieg.

Wurzen ist eine 1050 Jahre alte Domstadt am östlichen Hochufer der Mulde, etwa 30 Kilometer von Leipzig entfernt und am Übergang der Via Regia und deren Kreuzung mit einer alten Salzstraße gelegen. Die Kampfhandlungen erreichen die Stadt am 20. Oktober 1943. Bei einem Bombenangriff auf den Norden stirbt der erste Einwohner, bis Kriegsende werden etwa 40 Menschen Opfer der alliierten Luftangriffe. Etwa 650 aus Wurzen stammende Soldaten fallen an der Front.

Hans-Adolfs Eltern haben mittlerweile ein weiteres Kind bekommen, Irene ist nun drei Jahre alt. Für Hans-Adolf als Jugendlichen von etwa 14 Jahren ist der Krieg eine schwierige Zeit, aber auch Normalität. Für Politik interessiert er sich kaum. In seinem Alltag findet keine Schule mehr statt, stattdessen gibt es immer wieder Fliegeralarme, bei denen Keller und Schutzbunker aufgesucht werden müssen.

»Ich war in der Nazi-Zeit in der Jugendfeuerwehr.«

Da eine Mitgliedschaft in der Hitlerjugend verpflichtend ist, Hans-Adolf sich jedoch weder der Flieger-HJ, Marine-HJ noch der Motor-HJ (Panzerwaffe) zugetan fühlt, sucht er sich die neutralste Abteilung der Organisation aus. Bei der Feuerwehr muss er keine Waffen bedienen, sondern nur den Hydranten, die Schläuche und die Leiter.

Am 16. April 1945 stoßen amerikanische Truppen bis nach Bennewitz vor, nun trennt sie nur noch die Mulde von Wurzen. Der Wurzener Kampfkommandant Major Adolf Gestefeld veranlasst daraufhin die Sprengung sämtlicher Muldebrücken – eine letzte Bemühung der Wehrmacht, das Vordringen der Amerikaner zu stoppen und somit dem Feind nichts als verbrannte Erde zu hinterlassen.

Antifaschistische Oppositionelle der SPD und KPD versuchen durch mehrere Boykottaktionen, die Sprengung zu verhindern, haben aber keinen Erfolg. Major Gestefeld propagiert Durchhalteparolen und beruft den Volkssturm ein. Die wenigen Wehrmachtssoldaten des Luftschutzregiments vor Ort verfügen kaum über militärische Ausrüstung.

Oberbürgermeister Graebert ist sich dessen bewusst, dass eine Verteidigung Wurzens unmöglich wird und jeglicher Versuch der Gegenwehr nur die Vernichtung von Menschenleben und Infra­struktur bedeuten würde. Er führt geheime Gespräche mit Oppositionellen aus der Wurzener Arbeiterschaft, um eine kampf­lose Übergabe der Stadt zu planen. Am 18. April überbringen zwei Männer der US-Armee in Bennewitz das verfasste Kapitulations­angebot, dazu müssen sie des Nachts die Mulde durchschwimmen.

Da Major Victor Conley vom 273. US-Infanterieregiment gewillt ist, das Angebot zu akzeptieren, stoppt er vorerst den auf die Domstadt vorgesehenen Angriff. Mit einer Taschenlampe werden die Bedingungen über die Mulde gemorst. Major Gestefeld hat Wurzen mit seiner Truppe unterdessen Richtung Wittenberg verlassen und den Volkssturm aufgelöst.

»Natürlich hatte mein Vater Helfer.«

Am Morgen des 24. April 1945 klettert Dr. Armin Graebert gemein­sam mit einem Militärarzt und einem Dolmetscher über die zerbombte Eisenbahnbrücke in Richtung Bennewitz, um US-Major Conley zu Übergabeverhandlungen zu treffen. Zwei Helfer von der Feuerwehr warten am Wurzener Ufer und schwenken sichtbar eine weiße Fahne. Das Zeichen der Kapitulation weht auf Anweisung des Oberbürgermeisters auch bereits am Turm der Wenceslaikirche.

Schließlich ziehen die amerikanischen Streitkräfte in die Stadt ein. Wurzens Zukunft wird zwischen Major Conley und Armin Graebert im Stadthaus verhandelt. Die friedliche Übergabe rettet Tausende Menschenleben und verhindert die Zerstörung von Wohnhäusern, Industrie und historischen Bauwerken.

Zwar ist die Infrastruktur durch die gesprengten Muldebrücken behindert, und immer wieder fehlen Strom, Gas oder Trinkwasser, doch im Wesentlichen erleidet Wurzen während des Zweiten Weltkriegs vergleichsweise wenig Schaden.

Dennoch ist die Stadt im Ausnahmezustand. An der natürlichen Grenze des Flusses stauen sich eine große Menge Flüchtlinge, Heimatvertriebene, Zwangsarbeiter und befreite Häftlinge. Zahlreiche Krankheiten brechen aus, Plünderungen und Übergriffe sind an der Tagesordnung.

Am 5. Mai 1945 jedoch ändert sich die Lage von Grund auf. Wurzen wird von den US-Truppen an Verbände der Roten Armee über­geben, denn es liegt in jener Zone, die entsprechend den Konfe­renzen von Teheran und Jalta für die Sowjetunion vorgesehen ist. Am 8. Mai 1945 kapituliert die deutsche Wehrmacht bedingungs­los und der Zweite Weltkrieg ist beendet. Die Alliierten übernehmen die oberste Regierungsgewalt im Deutschen Reich; in der Sowjetischen Besatzungszone SBZ ist dies die Sowjetische Militäradministration in Deutschland SMAD.

Armin Graebert behält sein Bürgermeister-Amt und wird sogar zum Landrat im östlichen Teil der Amtshauptmannschaft Grimma ernannt. Ab Mitte Mai erfolgt die Entnazifizierung Wurzens und seiner Umgebung. Funktionsträger der NSDAP und ihrer Organi­sa­tionen werden aus ihren Ämtern entfernt.

Das NKWD verhaftet Hans-Adolfs Vater am 18. Mai 1945. Dr. Armin Graebert gelingt es, eine Nachricht an die Familie weiterzuleiten, die sie über seine Internierung im sowje­tischen Speziallager Nr. 4 Bautzen informiert. Ein einziges Mal darf Hedwig Graebert ihn dort besuchen, danach wird jeglicher Kontakt verboten und Armins Zukunft bleibt ungewiss.

Hans-Adolf, seine zwei Geschwister und die Mutter sind plötzlich auf sich allein gestellt. Der Krieg ist erst zehn Tage vorbei und der Alltag in der Stadt noch weitgehend unstrukturiert. Bezugsscheine und Lebensmittelkarten verkomplizieren die ohnehin schlechte Ernährungssituation. Die sowjetischen Besatzer richten sich in der Stadt ein und vertreiben Familie Graebert aus ihrer Wohnung.

Da der reguläre Schulbetrieb noch nicht wieder aufgenommen ist, arbeitet Hans-Adolf als Erntehelfer und in der Molkerei. Für die Feuerwehr setzt er sich weiterhin engagiert ein und interessiert sich darüber hinaus für Fußball, Schwimmen und allmählich auch für die Mädchen in seinem Alter.

Am 1. November 1945 klingeln deutsche Polizisten bei Familie Graebert. Sie wollen den 16-Jährigen mitnehmen, denn, so teilen die Beamten mit, man brauche Jugendliche für einen Arbeits­einsatz. Es ginge um den Wiederaufbau des zerstörten Dresdens, und bis Weihnachten sei Hans-Adolf zurück.

»Und das glaubte ich auch zunächst mal. Es hatte sich ja herumgesprochen, wie es in Dresden aussah.«

Die Polizisten kündigen an, dass es eine Übernachtung gebe, bevor der Weg angetreten werde – eine völlig normale Vorgehensweise, denn schließlich könne man nicht jeden Jugendlichen einzeln nach Dresden fahren, sondern müsse warten, bis eine gewisse Zahl an Helfern zusammengesammelt ist.

Die Schlafstätten der Jugendlichen befinden sich im Schloss Wurzen, ausgerechnet in den dort befindlichen Gefängniszellen. Hans-Adolf wird in eine Zelle gesperrt und in der Nacht vom NKWD zum Verhör geholt. Die sowjetischen Vernehmer wollen von ihm das Geständnis erpressen, er sei der national­sozia­listischen »Werwolf«-Organisation angehörig.

»Ich wusste nicht mal, wie das geschrieben wird.«

Hans-Adolf ist völlig ahnungslos. Er hat bislang nicht einmal vom Hörensagen Kenntnis von der Partisanengruppe gehabt. Der Vorwurf ist auch deshalb so absurd, weil die Freischärler des »Werwolf« hauptsächlich Sabotageakte auf die alliierten Besatzungstruppen verüben und Deutsche ermorden sollen, die mit diesen zusammenarbeiten – also Kollaborateure wie Hans-Adolfs Vater.

Die Tage bis zum 5. November verbringt Hans-Adolf allein in einer Zelle. Er wird gezwungen, ein Schriftstück zu unterschreiben, dessen Inhalt er nicht versteht und das er aufgrund der kyrillischen Buchstaben nicht lesen kann.

Noch misst er den nächtlichen Vernehmungen keine große Bedeutung bei. Da er um die Haltlosigkeit der Vorwürfe weiß, ordnet er sie als bloße Demonstration der Siegermentalität der Sowjets ein.

Nach vier Tagen muss Hans-Adolf mit mehreren Jugendlichen auf ein Auto steigen. Noch immer glaubt er daran, dass ihn die Fahrt nach Dresden führen wird. Tatsächlich überqueren sie mit einer Fähre die Elbe, doch das erreichte Ziel ist ein Barackenlager in der Nähe des Ortes Mühlberg. Hans-Adolf vermutet, dass man hier für weitere Übernachtungen versammelt wird, bis es anschließend zum Arbeits­einsatz nach Dresden geht. Doch tagelang geschieht nichts.

»Da erst merkte ich, dass ich in Haft war.«

Für zwei Jahre und acht Monate erlebt Hans-Adolf im Speziallager Nr. 1 Mühlberg nun die Quälerei der völligen Isolierung von der Außenwelt, begleitet von unzureichender Ernährung, nahezu unmöglicher Körper- und Gesundheitspflege und dem verordneten Nichtstun.

Wenn der Hauptlagerführer in die überfüllte Holzbaracke tritt, müssen die ausgemergelten Internierten strammstehen. Doch die Kameradschaft untereinander ist gut, besonders die Jugendlichen halten zusammen, auch wenn sie die Gründe ihrer Internierung nicht verstehen und sich in Spekulationen versuchen.

Zu Weihnachten fällt die Last der Inhaftierung besonders schwer. Nichts im Lager Mühlberg unterscheidet dieses Datum von anderen Tagen im Jahr. Es gibt keinen Weihnachtsbaum – nicht einmal einen grünen Zweig – in den Baracken, das Singen von Liedern bleibt untersagt und die Verpflegung besteht auch zu diesem Anlass nur aus schmalen Rationen Brot und Wassersuppe.

Das Heimweh ist bei Hans-Adolf groß. Durch die Abschottung von Rundfunk und Zeitung und dem Kontaktverbot zu Angehörigen ist die Ungewissheit über das Schicksal ihrer Familien für die Häftlinge zusätzlich zermürbend.

Nur selten gibt es Ablenkungen vom trostlosen Lageralltag: Da der sowjetische Lager­kommandant der »Kultura« sehr zugetan ist, fördert er Musik- und Theater­aufführungen von Häftlingen. Auch Hans-Adolf darf ab und an Zuschauer der Mühlberger Theater­gruppe sein.

Ende des Jahres 1946 ist jedoch Schluss mit den Veranstaltungen, denn sie widersprechen einer im Oktober erlassenen Lager­ordnung, und außerdem ist der physische Zustand der meisten Häftlinge desolat.

Als im Februar 1947 eine groß angelegte Untersuchung der Lager­insassen für den Transport Arbeitsfähiger in sibirische GULAGs stattfindet, erhält Hans-Adolf unerwartete Hilfe. Ein Lagerarzt weist den 17-Jährigen, der aufgrund der Fehlernährung an Furunkulose leidet, umgehend ins Lazarett ein. Zwischen den Todkranken verborgen, entgeht Hans-Adolf dem sogenannten Pelzmützentransport.

Im April 1947 werden 400 Häftlinge aus dem aufge­lösten Speziallager Nr. 6 Jamlitz nach Mühlberg verlegt. Unter ihnen befindet sich ein Polizist aus Wurzen, der Hans-Adolf die erschütternde Botschaft vom Tod seines Vaters überbringt. Nachdem Dr. Armin Graebert ein Jahr zuvor aus Bautzen nach Jamlitz verbracht worden war, ist der einstige Bürger­meister schließlich am 5. Februar 1947 an Kräfte­auszehrung gestorben.

Im Juli 1948 beginnen die Vorbereitungen für Hans-Adolfs Entlassung aus dem Speziallager Nr. 1 Mühlberg. Er ist nun 19 Jahre alt und einer der ersten Gefangenen, die den Heimweg antreten dürfen. Zuvor muss er einige Tage in einem Quarantäne­bereich verbringen. Die Männer erhalten nun neue Kleidung, reichhaltigeres Essen, Zeitungen und Zigaretten. Über ihre Zeit in Gefangenschaft wird ihnen Redeverbot erteilt.

Mit einem Lkw geht es für die Freigelassenen am 10. Juli 1948 zum Bahnhof Neuburxdorf. Der Bahnangestellte hält für die Männer extra einen Güterzug an, damit sie die Reise in ihre Heimatorte ohne lange Wartezeit antreten können.

Zurück in der Heimat muss Hans-Adolf zunächst einige Zeit im Krankenhaus verbringen. Die Lagerhaft hat ihn geschwächt und ihm als Folgeerkrankung eine Rippenfellentzündung eingebracht. In Wurzen spricht sich Hans-Adolfs Wiederkehr schnell herum, und die Reaktion der Bevölkerung ist durchaus wohlwollend.

Etliche Bürger suchen ihn auf, weil sie sich Nachricht über ebenfalls vom NKWD verhaftete Familienmitglieder versprechen. Hans-Adolf muss jedoch viele enttäuschen, weil er über den Verbleib der Männer nichts weiß und nur die Namen der Personen weitergeben kann, die sich gemeinsam mit ihm in der Quarantäne aufgehalten haben und somit kurz vor der Entlassung in die Freiheit stehen.

Nach seiner Genesung ist Hans-Adolf auf der Suche nach Arbeit. Kein leichtes Unterfangen, denn er hat während des Zweiten Weltkriegs keinen Schulabschluss machen können.

»Ich stand vor dem Nichts.«

Einer der Oppositionellen, mit denen sein Vater verhandelt hat, steht ihm zur Seite und vermittelt eine Arbeitsstelle. Erst hilft Hans-Adolf in der Produktion aus, dann macht er Lehrgänge an der Volkshochschule und der Kammer der Technik in Leipzig und lässt sich zum Industriekaufmann ausbilden. Eigentlich ist sein Berufswunsch Architekt gewesen, doch den Traum von einem Studium kann Hans-Adolf nicht realisieren, da er als Halbwaise keinen finanziellen Rückhalt hat und selbst für seinen Lebens­unterhalt sorgen muss.

Obwohl Hans-Adolf nach seiner Rückkehr sofort wieder in die Feuerwehr eintritt, muss er das geliebte Hobby bald aufgeben. Die Lagerhaft hat ihn körperlich so mitgenommen, dass er die Anforderungen nicht mehr erfüllen kann. Für den Fußball interessiert er sich nach wie vor, er geht regelmäßig ins Stadion, um sich Spiele anzuschauen.

Hans-Adolf Graebert als Mitglied der Feuerwehrjugend, 1949

1955 heiratet er Irmgard und bekommt mit ihr einen Sohn. Auch wenn die Eingewöhnung in den Alltag im Wesentlichen gut verläuft, hat ihn die Zeit in Mühlberg gezeichnet und sensibel gemacht.

Erst 1995 wird Hans-Adolf der Tod seines Vaters durch den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes offiziell bestätigt. Im selben Jahr, anlässlich des 50. Jahrestages der friedlichen Kapitulation, wird am Wurzener Stadthaus eine Gedenktafel enthüllt, die den damaligen Oberbürgermeister ehrt und die Bedeutung der Aktion würdigt.

»2009 hatte ich eine Schädeloperation. Dadurch ging vom Gedächtnis einiges verloren.«

Neben wenigen körperlichen Einschränkungen sind Hans-Adolf infolge der Gehirnblutung, die er erlitten hat, etliche Erinnerungen an seine Vergangenheit abhanden gekommen. Details seiner Erlebnisse aus der Zeit in Gefangenschaft fehlen ihm seitdem.

Jeden Monat trifft er sich mit der Bezirksgruppe Wurzen der Vereinigung der Opfer des Stalinismus e. V. (VOS) im Stadthaus. Die Gruppe hat bereits mehrere Ausstellungen in Wurzen organisiert und unternimmt mit Schülern Fahrten zu Gedenk­stätten.

Hans-Adolf legt Wert darauf, darüber zu informieren, dass ihm das im Speziallager Nr. 1 Mühlberg geschehene Unrecht nicht durch das russische Volk, sondern allein durch die stalinistische Politik zugefügt worden ist. Er empfindet keinen Hass, sondern wünscht sich eine friedliche Zukunft, in der ein gutes Verhältnis zwischen allen Völkern existiert.

Der heute 87-Jährige ist ein engagierter und gefragter Ansprech­partner für Bericht­erstattungen über seinen Großvater Adolf Damaschke, über die Ereignisse der letzten Kriegstage in Wurzen und die Initiative seines Vaters Dr. Armin Graebert. Hans-Adolf erhält eine Opferrente.